Mehr Aloha in der Kirche

 

Schon häufiger habe ich folgende Situation erlebt: man kommt mit jemandem ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass beide Christen sind. Fast reflexhaft folgt darauf die Frage „katholisch oder evangelisch?“ Nicht, dass das in der Regel irgendeine Relevanz für das weitere Gespräch oder die Situation hätte. Nicht, dass man daraus irgendetwas über die persönlichen Einstellungen, Haltungen oder den Charakter der anderen Person schließen könnte, zumal viele Menschen ja ihre Konfession nicht einmal selbst gewählt haben, sondern ihr aufgrund von äußeren Umständen wie Familie oder anderen Bezugspersonen angehören. Und nicht, dass es irgendetwas über die persönliche Spiritualität oder theologische Position aussagte. Und doch scheint es über die Tatsache des Christseins hinaus wichtig zu sein, welcher Konfession man angehört und die Antwort ruft ein erstes intuitives Gemeinschafts- oder Differenzgefühl hervor.

 

Ganz Ähnliches erlebe ich, wenn das Gespräch auf die Gemeinsamkeit Wassersport —und explizit das Surfen — kommt. Aber auch hier: aufgepasst! Denn Surfen ist nicht gleich Surfen. Surfen im ursprünglichen Sinn meint das Wellenreiten auf einem Brett. Es gilt als die Ur-Form des Surfens und ist vermutlich das, was den meisten Nicht-Surfern assoziativ vor dem inneren Auge steht. Es ist auch die Form des Surfens, über die schon Musiker und andere Künstler, Psychologen und Therapeuten, Philosophen und Theologen reflektiert haben. Wellenreiten ist trotz seiner puristischen Einfachheit äußerst anspruchsvoll und schwer zu lernen. Vor jedem Wellenritt steht die Anstrengung des Hinauspaddelns, das Warten und genaue Abpassen der Welle — und wenn es schlecht läuft, der Sturz und das Gewaschenwerden in tonnenschweren Wassermassen. 99 Prozent Arbeit für 1 Prozent Ekstase. Und nicht zuletzt funktioniert es nur da, wo es auch Felsen gibt, über die Wellen brechen können. Das macht die Sache zum einen gefährlich und zum anderen, zumindest aus deutscher Perspektive, reiseintensiv.

 

Eine abgewandelte Form ist das Windsurfen, bei dem die Energie des Wassers um die Antriebskraft des Windes ergänzt ist. Die Richtung des Surfens ist dadurch weniger beschränkt, aber eben doch noch vom Wind abhängig. Das Hinauspaddeln und Warten entfällt. Das Wellenabreiten stellt beim Windsurfen nur eine Disziplin neben Freestyle (ähnlich wie beim Skateboarden) oder dem Regatta-Surfen dar. Außerdem sind durch den Auftriebsmotor Segel extrem hohe Sprünge und bis zu dreifache Drehungen möglich. Bis dahin ist der Weg natürlich ebenso weit, wie beim Wellenreiten die Fahrt durch den Wellentunnel (bezeichnenderweise „grüne Kathedrale“ genannt). Das Windsurfen, obwohl die kraftaufwendigste Form, bietet bei Einsteigern die schnellsten Erfolgserlebnisse. 

 

Weniger kraftraubend, dafür aber deutlich risikoreicher ist das Kitesurfen, bei dem der Surfer die Energie über den Zug eines Lenkdrachens bezieht. Kitesurfen benötigt weniger Windstärken, dafür aber mehr zu lernende Technik. Freies Üben ist für Anfänger wegen des hohen Risikofaktors kaum möglich. Coole Sprünge gelingen aber auch auf niedrigerem Level schnell.

Solche und ähnliche Pro- und Kontra-Argumente werden regelmäßig unter Surfern ausgetauscht und natürlich ist die eigene Sportart immer die beste! Die Differenzen können sich auch durchaus bis in handfeste Animositäten und Vorurteile manifestieren.

 

Ähnlich schematisch und klischeehaft kann man die Unterschiede zwischen den christlichen Konfessionen beschreiben. Und auch bei den Christen ist natürlich immer die eigene Konfession die beste, die Differenzen sind manchmal Animositäten und auch lange nach dem konfessionellen Zeitalter werden gern Vorurteile gepflegt. Andere dagegen versuchen, die Unterschiede der Konfessionen zu nivellieren.

 

Für den sportlichen Bereich zeigt Kai Lenny eine inspirierend integrierende Alternative auf. 

Er gehört zu den so genannten Watermen und beherrscht so ziemlich alles extrem gut, was mit Wasser zu tun hat. Er ist zugleich Surfer, Windsurfer, Kitesurfer, Big-Wave-Surfer, Tow-In-Surfer und SUP-Surfer und -Racer und hat in fast allen Disziplinen bereits Titel gewonnen. Die Frage, welche seine Lieblingsdisziplin sei, beantwortet er etwa so:

Im Lexikon stehe, Surfing ist die Kunst, eine Welle zu reiten. Dort stehe nichts von: auf einem Surfbrett, Kiteboard, Windsurfer usw. Eigentlich sei es immer der Sport, den er gerade mache. Und diese Wahl komme auf Bedingungen, Zeit und Ort an. Es gehe ihm darum, im Wasser zu sein und dass er Wellen reite, nicht mit welchem Sportgerät. Zudem verbesserten die unterschiedlichen Skills jeweils auch die Fähigkeiten für die anderen Disziplinen.

 

Wie wäre es also, mit dieser inneren Haltung weniger ein Katholik, ein Protestant oder ein Orthodoxer zu sein, sondern ein „Christ-Man“ zu werden? Hans Küng hat diese Spannung von Unterschieden in Gemeinsamkeit in seinem Buch „Christ sein“ (Piper 2010, 155) auf den Punkt gebracht:

„Der Christ (auch der protestantische) glaubt nicht an die Bibel, sondern an den, den sie bezeugt.

Der Christ (auch der orthodoxe) glaubt nicht an die Tradition, sondern an den, den sie überliefert.

Der Christ (auch der katholische) glaubt nicht an die Kirche, sondern an den, den sie verkündet.

Das unbedingt Verläßliche, an das der Mensch sich für Zeit und Ewigkeit halten kann, sind nicht die Bibeltexte und nicht die Kirchenväter und auch nicht ein kirchliches Lehramt, sondern ist Gott selbst, wie er für die Glaubenden durch Jesus Christus gesprochen hat. Die Bibeltexte, die Aussagen der Väter und kirchlicher Autoritäten wollen — in verschiedener Gewichtigkeit — nicht mehr und nicht weniger als Ausdruck dieses Glaubens sein.“

 

Viel mehr als in der persönlichen Haltung spielen die konfessionellen Unterschiede sicher in den institutionell verfassten Kirchen eine Rolle. Für manche Gläubige ist der aktuelle Kommunionstreit der Bischofskonferenz kaum nachvollziehbar. Zu wenig vermittelbar erscheinen theologische Postionen und die konkrete Lebens- und Glaubenspraxis vieler Menschen. Für konfessionsverbindende Paare, Familien oder Freundeskreise ist das Austarieren von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Gestaltung des gemeinsamen Lebens hochrelevant. Gleiches gilt jedoch auch für „sportart-übergreifende“ Paare, Familien und Freundeskreise. Nur wenige Surfspots eignen sich von den Bedingungen her gleichermaßen gut für Wellenreiter, Wind- und Kitesurfer und gleichermaßen gut für verschiedene Könnerstufen. Oft sind Spots auch aus Sicherheitsgründen in Zonen aufgeteilt oder nur für bestimmte Surfarten freigegeben. Für viele Menschen ist der Surfurlaub der Höhepunkt des Jahres und nur für wenige käme wohl ein getrennter Urlaub in Frage. Noch weniger einer, bei dem der eine auf dem Wasser ist und der andere die ganze Zeit am Ufer sitzen und zusehen muss.

In genau dieser Weise absurd erscheint vielen aber die Situation konfessionsverbindender Paare in Bezug auf die gemeinsame Teilnahme am Abendmahl, immerhin ja „Quelle und Höhepunkt“ des kirchlichen Lebens. 

Auch der Faktor „persönliches Level“ spielt nicht nur im sportlichen, sondern auch im Glaubensbereich eine große Rolle. Was für den einen genau richtig ist, kann den anderen komplett über- oder unterfordern.

 

Im Bereich des Surfens nehme ich eine hohe Dienstleistungsbereitschaft von Surfstationen und Reiseanbietern wahr: Prospekte mit Spotbeschreibungen, vielfältige unterstützende Kursangebote, breites Angebot an Leihmaterial, kompetentes Lehrpersonal, Organisation von Transporten, Austauschforen und vieles mehr.

 Sicher geht es hier vor allem auch ums Geld-Verdienen, aber ein bißchen mehr Dienstleistungsgedanke im Sinne von Bemühen um den einzelnen Menschen könnte Kirche durchaus von den Surfern lernen.

 

Wenn Menschen in der Kirche auf eine Mentalität stießen, die darauf zielte, sie glücklich und beseelt wieder gehen zu lassen, damit sie uns aufgrund guter Erfahrungen anderen weiterempfehlen und vielleicht auch selbst wiederkommen, wäre dies ein großer Gewinn für beide.

Surfstationen und Reiseanbieter bemühen sich sicher auch um Kundenbindung, wollen aber auch nicht gleich aus jedem Kunden einen potentiellen Mitarbeiter machen.

Also bitte: ein bißchen mehr Aloha in die Kirche!

 

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